Sonntag, 22. März 2009

Die Wandlung des scheuen Wildlings zum bequemen Hauskater

Im Frühsommer 2007 bemerkte ich zum ersten Mal, dass eine fremde Katze nachts regelmäßig auf meiner teils überdachten Terrasse schlief. Eine der weichen mit Schaumstoff gepolsterten Katzenhöhlen, die für meine eigenen drei Katzen zum Kuscheln auf der Gartentruhe hinter der Sitzbank aufgestellt sind, war morgens in der Früh meistens völlig plattgedrückt. Jeden Morgen musste ich sie wieder aufrichten. Da meine Katzen immer in die Höhlen reingehen, um sich darin niederzulegen, schlussfolgerte ich, dass der Verursacher eine fremde Katze sein musste. Also stand ich eines Morgens früher als gewöhnlich auf (es war 6:00 Uhr morgens) und schaute verstohlen, so dass ich nicht bemerkt wurde, aus dem Badezimmerfenster, das den Blick auf den überdachten Teil der Terrasse freigibt, hinaus. Tatsächlich entdeckte ich eine noch sehr jung wirkende Katze auf einer plattgedrückten Katzenhöhle selig schlummern. Gewöhnlicherweise war die Katze 1 - 2 Stunden später, wenn ich normalerweise nach draußen ging, bereits verschwunden. Tagsüber sah ich sie nie, nur in der abendlichen Dämmerung konnte ich sie von innen im Wohnzimmer an der offenen Terrassentür manchmal vorbeihuschen sehen. Offenbar tolerierten meine Katzen ihre Gegenwart, denn es gab nie Krawall. Ich vermutete, dass sie ein Zuhause in der Nachbarschaft hatte und sich nachts auf meiner Terrasse von ihren nächtlichen Streifzügen ausruhte, bevor sie zum Frühstück wieder nach Hause ging. Sie sah ja nicht verhungert oder verwahrlost aus. Vermutlich suchen nachts auch andere Nachbarskatzen meine Terrasse gelegentlich auf und benutzen zum Ausruhen die Katzenhöhlen oder die Sitzbänke, jedoch bemerke ich am nächsten Morgen nichts davon.

Im Winter desselben Jahres fiel mir auf, dass sich die fremde Katze auch tagsüber auf meiner Terrasse aufhielt. Jetzt allerdings bevorzugte sie es, in der Höhle zu liegen, denn innen war es eindeutig wärmer und windgeschützter. Jedes Mal, wenn ich raus ging, huschte sie verschreckt aus der Höhle raus und lief davon. So kam ich ins Grübeln, ob die Katze denn nun wirklich ein eigenes Zuhause hatte, oder doch eher nicht. Futter wollte ich nicht rausstellen, denn ich hätte keinerlei Kontrolle darüber gehabt, ob sie es fraß oder irgendein anderes Tier, meine eigenen Katzen eingeschlossen. Da die Katze keinen verhungerten, verwahrlosten oder kranken Eindruck machte, vermutete ich, dass sie möglicherweise woanders eine Futterquelle hatte. So ging es also bis zum Frühjahr.

Im milden Frühjahr 2008 begann ich mich natürlich wieder öfter und länger auf der Terrasse aufzuhalten. Zunächst beunruhigte diese Veränderung die Katze und sie huschte wie gewohnt davon, wenn ich nach draußen trat, aber allmählich gewöhnte sie sich an meine Gegenwart und lief nicht mehr sofort weg, wenn sie mich sah. Täglich ging ich hinaus und bemühte mich, nachdem ich sie kurz aus der Ferne leise begrüßt hatte, sie nicht zu beachten, denn verunsicherte Katzen werden durch auf sie gerichtete Aufmerksamkeit noch mehr verunsichert und entfernen bzw. verstecken sich. Das Ignorieren, wobei ich jedoch trotzdem leise mit ihr redete, hatte einen deutlich beruhigenden Effekt auf sie, denn sie blieb liegen während ich mich um meine Pflanzen in den Kübeln und Kästen kümmerte, und mit der Zeit konnte ich mich näher in ihre Richtung wagen, ohne dass sie weghuschte. Mittlerweile hatte sie ihren Lieblingsliegeplatz auf den runden Katzenkorb aus Weide, der neben den Katzenhöhlen auf der Gartentruhe hinter der Sitzbank steht, verlagert. Irgendwann gelang es mir, mich auf der äußersten Sitzbank, eine Tischlänge von ihr entfernt, hinsetzen zu können, ohne dass sie unruhig wurde. Natürlich hatte sie schon längst einen Namen, Moggy. Inzwischen hatte ich bemerkt, dass die Katze ein intakter Kater war, denn die Hoden waren gut sichtbar, wenn sie den Korb verließ, sich streckte und dabei den Schwanz nach oben hob. Nach all diesen Monaten stand für mich mittlerweile fest, dass dieser Kater niemanden gehörte, und dass er kastriert werden musste, um keinen weiteren Beitrag zur Situation des Elends der verwildert geborenen Katzen leisten zu können.

Obwohl er eigentlich gut genährt aussah, schien er doch hungrig zu sein, denn er konnte offenbar wittern, dass es in meiner Wohnung eine Futterstelle gab (in der Küche steht Trockenfutter immer in einer Schale bereit). Er stand öfters mit hoch erhobenem Näschen schnüffelnd an der offenen Terrassentür stehen, wenn er sich unbeobachtet fühlte, offenbar im Begriff dem Futtergeruch folgend hineinzugehen. Jedoch wurde er regelmäßig von den anderen Katzen ob so viel Dreistigkeit vertrieben. Die Terrasse mitbenutzen war OK, aber den geheiligten Innenbereich betreten war offenbar tabu. So begann ich ihm zweimal täglich einen Teller mit Trockenfutter draußen hinzustellen und beobachtete ihn anfangs diskret vom Fenster aus, denn er interessierte sich erst für den Teller, wenn ich mich entfernte.


Sobald er mit dem Fressen fertig war, verschwand er, und ich holte den Teller wieder rein. Bei dem milden Wetter blieb er tagsüber bis zum späten Nachmittag weg, tauchte aber schnell wieder auf, sobald es anfing zu regnen. Später entdeckte ich zufällig, dass er sich bei trockenem Wetter in der mit Gestrüpp überwucherten Bunkerruine ganz in meiner Nähe, die von Menschen nicht betreten wird, aufhielt. Deshalb gelang es ihm bei beginnendem Regen so schnell wieder auf meiner Terrasse zu sein. Er gewöhnte sich schnell an die regelmäßigen Futterzeiten, wobei die abendliche Futtergabe mittlerweile – wie meine anderen Katzen es gewohnt waren - aus Nassfutter bestand. Inzwischen gurrte er mich in Katzenmanier zur Begrüßung an und gab Köpfchen, wenn ich erschien. Er ließ mich nämlich jetzt so nahe an ihn heran, dass er sogar Leckerli aus meiner Hand nahm. Die offene und leere Hand, die ich einige Male probeweise nach der Leckerligabe nicht zurückzog, wirkte aber wiederum bedrohlich auf ihn, denn er schlug sie mit der Pfote weg, wobei ich ein paar Kratzer abbekam. Ich lernte, dass gekrümmte Finger weniger bedrohlich auf ihn wirkten und konnte ihn so kurz an meiner Hand schnuppern lassen, bevor ich sie zurückzog. Sein Verhalten deutete immer mehr darauf hin, dass er auf Menschen nicht sonderlich bzw. gar nicht geprägt und möglicherweise verwildert aufgewachsen bzw. sehr früh ausgesetzt worden war. Er hatte sich mittlerweile jedoch so weit entspannt, dass es mir möglich war, auf der Sitzbank unmittelbar in Nähe des Katzenkorbs zu sitzen, während er dösend darin lag. Meine Nähe akzeptierte er, ohne unruhig zu werden.
Ich hatte das Gitter zum Korb einige Zeit vorher daran befestigt und am Griff hochgebunden, mit dem Gedanken, ihn bei der sich nächst bietenden Gelegenheit im Korb einzusperren. Diese günstige Gelegenheit ergab sich bald. Während er selig und entspannt nichts Böses ahnend im Korb döste, ließ ich dass Gitter sachte herunter und befestigte es blitzschnell an mehreren Stellen bevor er überhaupt merkte, dass er gefangen war. Er wand sich sofort in großer Panik, als er feststellte, dass er eingesperrt war, und versuchte sich unter dem Kissen in dem Korb, worauf er so schön weich gelegen hatte, zu verstecken. Ich rief in der Tierarztpraxis an, schilderte die Lage und bat um einen sofortigen Kastrationstermin, was man mir auch sehr entgegenkommend gewährte. Im Nachhinein ist mir klar, dass ich die Aktion im Vorfeld mit meiner Tierärztin hätte absprechen müssen, ich hatte Glück, dass sie so flexibel und verständnisvoll auf mein Anliegen reagierte. So wurde der Kater ein Jahr nachdem ich ihn das erste Mal auf meiner Terrasse bemerkt hatte, kastriert, geimpft, mit einem Floh- und Zeckenmittel behandelt und entwurmt. Sein Alter schätzten wir damals auf ca. 1 ½ Jahre, was meine Vermutung, dass er im Herbst 2006 geboren worden war, bestätigte. Ich behielt ihn übernacht, um die Nachwirkungen der Narkose abklingen zu lassen, in meinem abgedunkelten und im Vorfeld leer geräumten Badezimmer eingesperrt. Das Badezimmer musste ich abends notwendigerweise ein paar Mal betreten, wobei er mich giftig anfauchte, jedoch in seinem Bettchen liegen blieb. Erstaunlicherweise polterte es in der Nacht nur ein paar Mal, ich konnte hören, dass er sich einige Male gegen die Tür warf. Am nächsten Morgen, als ich ihn aufsuchte, fauchte er mich vorwurfsvoll an und wollte kein Futter oder Leckerli annehmen. Ich fürchtete, dass ich es mir bei ihm gründlich verdorben hatte. Gegen Mittag, als ich sicher sein konnte, dass die Nachwirkungen der Narkose verflogen waren, öffnete ich die Badezimmertür und trat beiseite, um ihn in die Freiheit wieder zu entlassen. Meine anderen Katzen sonnten sich derweil alle auf der Terrasse und ich hatte die Terrassentür und die Katzenklappe geschlossen, damit es keine unverhofften Begegnungen zwischen ihm und ihnen in der Wohnung während seines Gangs nach draußen geben würde. Bevor ich ihm die Terrassentür öffnen konnte, versuchte er mehrmals durch die Scheibe zu springen. Mein Verdacht, dass er verwildert aufgewachsen war, erhärtete sich dadurch noch mehr, denn jede hausgewohnte Katze weiß, dass sie nur an der Tür kratzen oder davor sitzen und maunzen muss, damit der Mensch die Tür aufmacht. Er hetzte dann durch die geöffnete Tür hinaus und verschwand. Würde er trotz der traumatischen Erlebnisse wieder kommen?
Nun, am nächsten Morgen war er wieder da, fraß hungrig vom dargebotenen Teller und verschwand bis abends wieder. Im Verlaufe der nächsten Tage stellte es sich heraus, dass er mir nichts übel genommen hatte, sondern alle Schuld für das erlittene Trauma auf den Katzenkorb schob. Nie wieder legte er sich da hinein. Er fing an mehr Tageszeit auf der Terrasse zuverbringen, sein Dauerlieblingsplatz war jetzt der alte Schaukelstuhl, 

und allmählich begann er sich durch die offen stehende Terrassentür in die Wohnung hineinzuwagen, zuerst sehr nervös, dann immer entschlossener, um wie die anderen Katzen in der Küche zu fressen. Offenbar hatte er sich vorgenommen, bei der Futterausgabe in der ersten Reihe zu stehen. Immer öfter kam er auch außerhalb der Fütterungszeiten durch die fast immer offen stehende Terrassentür hinein und testete reihum die Bequemlichkeit der Polstermöbel


sowie die des Bettes.


Zwischen ihm und den anderen Katzen gab es durch dieses Eindringen in ihre sichere Zone einige heftige Spannungen und Auseinandersetzungen, wobei er öfters nach draußen vertrieben wurde. Er blieb aber hartnäckig und nachdem unter ihnen die Grenzen geklärt waren, verringerten sich dieser Art Spannungen bald auf ein Minimum. Er war offenbar sehr entschlossen ganz in dieses wunderbare Schlaraffenland einzuziehen und die anderen stellten sich auf die neue Situation ein, jedoch zunächst ziemlich widerwillig und mit viel gegenseitigem Auflauern bzw. Belauern. Bald übernachtete er sogar aus eigenen Stücken in der Wohnung. Die Katzenklappe fixierte ich des Nachts mit einem Stöckchen so, dass es weit offen stand, damit er jederzeit heraus konnte, falls ihm die Panik überfiel. Es war nachts jedoch so friedlich, dass ich nach wenigen Nächten die Katzenklappe einfach wieder herunterließ, und siehe da, Moggy bewies, wie lernfähig er war, denn er bediente die Katzenklappe von drinnen nach draußen eigenständig.


Offenbar hatte er die anderen Katzen bei der Bedienung gut beobachtet. Wie es von draußen nach drinnen funktionierte begriff er allerdings erst etwas später, denn ich musste ihn morgens regelmäßig durch die Tür wieder reinlassen. Bis der Herbst kam, war Moggy schon ein richtiger Hauskater geworden, der nur für kurze Ausflüge nach draußen ging. Es war auffallend, dass er ständig kontrollieren musste, wo ich in der Wohnung war. Offenbar galt ich als magische Futterquelle, die er unbedingt im Visier behalten musste. Der arme Kerl hatte in der Vergangenheit wohl sehr oft Hunger erleiden müssen.

Abends liegt er meistens neben mir auf dem Sofa. Er genießt es, ein wenig unter seinem Kinn und oben auf dem Kopf zwischen den Ohren gekrault zu werden, allerdings hält er es nur ein paar Minuten aus. Sonstige Berührungen machen ihn ziemlich nervös, so ist es immer noch nicht möglich, ihn über den Rücken zu streicheln. Er hebt dann das Pfötchen, um die Hand, die streicheln will, abzuwehren. Abgesehen davon, dass man ihn praktisch überhaupt nicht handeln und schon gar nicht hochheben kann, womit man bei einer verwilderten Katze sowieso rechnen muss, ist er im Umgang mit mir doch sehr zutraulich und sucht oft meine Nähe. Wenn ich ihn anspreche, antwortet er mit einem zärtlichen Gurren. Ich glaube, dass aus ihm nie eine richtige Schoßkatze wird, was ich auch wiederum nicht von ihm zwingend erwarte. Seine Wandlung vom verwilderten Kater zum bequemen Hauskater ist an sich schon eine erstaunliche Entwicklung, zumal er sich freiwillig dazu entschieden hatte. Sogar häufiger Besuch, der ihn Anfangs das Weite suchen ließ, erschreckt ihn mittlerweile nicht mehr. Heute bleibt er liegen, wenn es an der Tür klingelt, er bewahrt jedoch eine sichere Distanz zum Besucher und bleibt dabei wachsam und fluchtbereit. Meine Wohnung ist sein Zuhause geworden und er gehört zusammen mit den anderen Katzen einfach hierher.

Mein Erlebnis mit ihm hat mein Leben auf jeden Fall um eine erstaunliche und interessante Erfahrung bereichert und mich speziell für das Los der verwilderten und streunenden Katzen geöffnet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen